Warum es in Döbling keinen Biedermannhof gibt!

 

 

Nicht nur heutzutage, sondern auch schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden viele Plätze, Stätten und Gebäude immer wieder aus  politischen Motiven von den Herrschenden umbenannt. Wenn es der Wiener Gemeinderat für gut befindet, verdienten Persönlichkeiten „die Ehr’ abzuschneiden“, ist es um Ehrengräber und Straßennamen recht schnell geschehen. Zeitweise wird aber auch korrekt entschieden, wie wir an der Geschichte des Karl-Marx-Hofs auch in Döbling ersehen können.


Das seinerzeit größte soziale Wohnbauprojekt der Ersten Republik war unumstritten der knapp einen Kilometer lange und bei seiner Fertigstellung aus mehr als 1.800 Wohneinheiten bestehende Karl-Marx-Hof in Wien-Döbling. Finanziert wurde dieses Bauvorhaben aus den Mitteln der Wohnbausteuer(1927 betrug der Anteil der „Steuern auf Luxus und besonderen Aufwand“ knapp 65 Millionen Schilling; das entsprach etwa 36 Prozent der Wiener Steuereinnahmen und 20 Prozent der Gesamteinnahmen der Stadt). Allein die Steuerpflicht des Hauses Rothschild deckte die Baukosten des Karl-Marx-Hofs zur Gänze ab. Die traurigen Ereignisse des gescheiterten Arbeiteraufstandes im Februar 1934 waren ausschlaggebend dafür, dass der Karl-Marx-Hof kurzzeitig „Biedermann-Hof“ hieß (ab 1934 und während des Dritten Reiches: Heiligenstädter Hof). Wer war dieser Biedermann – und warum wurde der riesige Gemeindebau nach ihm umbenannt? Karl Biedermann, geboren 1890 in Ungarn, schloss sich in der Ersten Republik der austrofaschistischen Heimwehr um Kanzler Dollfuß an und kämpfte im Bürgerkrieg des Jahres 1934 bei der Eroberung des Karl-Marx-Hofs an der vordersten Front. Welchen Stellenwert er dabei hatte, erkennt man an der Umbenennung.

Obwohl er als ehemals Christlichsozialer Funktionär nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland politisch „besonders belastet“ war, zog Biedermann als Offizier der Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg. Daneben bemühte er sich, seine Karriere als Beamter der Postsparkasse fortzusetzen.

 

 

Bild links: Karl-Marx-Hof nach den Februarkämpfen 1934

 

„Hundertprozentiger Nazi“

Während man ihn bisher aber für einen hundertprozentigen Anti-Nazi gehalten hatte, stieß der Historiker Roman Eccher in Karl Biedermanns „Gau-Akt“ im Österreichischen Staatsarchiv auf ein Schreiben, das Biedermann – der spätere Widerstandskämpfer – am 15. Dezember 1938 an die „Reichsstatthalterei Wien“ gerichtet hatte. Darin erklärte er, ein „hundertprozentiger Nationalsozialist“ zu sein – und das schon „mindestens ein Jahr vor der Machtübernahme der NSDAP in Österreich“. Er sei immer schon „absolut antimarxistisch und scharf antisemitisch eingestellt“ gewesen, hätte „Schuschnigg und sein System“ abgelehnt und sei „niemals ein Schwarzer“, dafür aber stets „ein deutscher und anständiger Mensch“ gewesen.

Zeugen

Karl Biedermann nennt in dem Brief an die „Reichsstatthalterei“ auch mehrere Zeugen, die seine nationalsozialistische Haltung bestätigen würden. Diese Zeilen muten umso erstaunlicher an, als Biedermann aus dem Umkreis von Kanzler Dollfuß, Schuschnigg und der Heimwehr kam und bei den Christlichsozialen seine politischen Wurzeln hatte. In der Tat gelang Karl Biedermann aufgrund seines „Bekenntnisses“ zum Nationalsozialismus eine Teil- Rehabilitierung und damit im Jahre 1940 der Aufstieg zum Major und zwei Jahre später zum Inspektor der Postsparkasse. Der von ihm angestrebte Titel „Oberinspektor“ blieb ihm allerdings aufgrund seines politischen Vorlebens verwehrt. Als das Ende des 3. Reiches in greifbarer Nähe war, wurde ihm sein Opportunismus zum folgenschweren Verhängnis: Angesichts der drohenden Niederlage schloss er sich der Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll an, wurde verraten und am 6. April 1945 wegen Landesverrates zum Tode verurteilt.

Bild rechts: Karl-Marx-Hof Luftbild

 

Erschienen im Döblinger Extrablatt 25 2020

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